Mein Weg der Bäuerlichkeit
Mein Name ist Alois Wohlfahrt. Ich bin ein emotionaler Bergbauer, NetzLandwirt und auch ein bisschen Philosoph. Meine Eltern hatten für mich einen klassischen Weg zum modernen Landwirt vorbereitet. Sie bauten dafür sogar einen großen Aussiedlerhof. Folglich erlernte ich den Beruf des Landwirts bis hin zum Landwirtschaftsmeister. Doch als ich eine Familie gründete und den Hof übernahm, entwickelte es sich ganz anders.
Ich war damals (1990) als sogenannter Bildungsbeauftragter des Bauernverbandes aktiv. Ich organisierte Erwachsenen-Bildungsveranstaltungen für das Bildungswerk des Bayrischen Bauernverbandes. Dadurch kam ich weit herum und lernte auch interessante Persönlichkeiten kennen. Wie z.B. Alois Glück. Sein großes Thema war die Zukunft der ländlichen Räume. Schließlich erschien 1990 ein Buch mit dem Titel „Das Land hat Zukunft – Perspektiven für die ländlichen Räume. Es war eine Sammlung von verschiedensten Expertenmeinungen die aus verschiedensten Sichten analysierten und auch Empfehlung, ja sogar Visionen wagten.
Aus Problemen Chancen machen
Alois Glück und seine Autoren zeigten die kommenden Umbruch-Entwicklungen der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft auf. Ihre Analysen deckten Defizite und Schwachstellen auf, ohne jedoch eine Angst vor der Veränderung zu schüren, sondern im Gegenteil, um die richtigen Konsequenzen zu ziehen, damit solche gewaltigen Umbrüche sogar zum Vorteil der Menschen auf dem Land genutzt werden könnten.
Ganz besonders faszinierte mich der Systemforscher Prof. Dr. Johann Millendorfer aus Österreich. Er prognostizierte, dass die Bauern nicht die Letzten von gestern seien, sondern, dass sie die ersten von Morgen seien. Denn die bäuerliche Kultur würde von der sich wandelnden Industriegesellschaft bei ihrer Umkehr zum Leben verstärkt nachgefragt werden. Der bäuerliche Mensch müsse sich allerdings der Bewahrung seiner eigenständigen Werte in der Beziehung zu allem Lebendigen und der Natur bewusst werden.
Millendorfer warnte davor, dass der Bauer sich seiner Kernkompetenz beraube, wenn er sich voll und ganz den industriellen Methoden verschreibe. Dann verliere er seine Unabhängigkeit und werde zum schlecht bezahlten Handlanger der Industrie.
Zunächst begriff ich noch nicht die ganze Dimension von Millendorfers Thesen. Zunächst plante ich einen modernen Neubau des Milchviehstalles. Der Milchpreis lag damals bei über 90 Pfenning, also ca. 45 Cent. Doch mitsamt staatlicher Förderung würde ich nach 20 Jahren gerade so die neuen Schulden tilgen können. Ich war verunsichert.
Doch dann las ich in der Festschrift zum 40 jährigen Bestehen des Bauernverbandes folgendes Zitat: von Dr. Karl Bosl, einem anerkannten Historiker, der den Bauernstandes so skizzierte:
Der traditionsverhaltene Landmann des 20. Jahrhunderts steht der wortgewandten, selbstbewußten Welt der Händler und Manager, dem ungewohnten Marktmechanismus hilflos gegenüber. Vorsicht und Tradition allein helfen dem ernsten, unsicheren, schlichten und ehrlichen Menschen auf dem Lande nicht mehr. Sein Lebensstandard bleibt weit hinter dem der Städter zurück. Technik und Organisation sind an sich seine Helfer, aber die fortschreitende Technisierung zerstört auch seine Lebenswelt.“
Historiker Dr. Karl Bosl in der Festschrift des BBV zum 40 jährigen Jubiläum des BBV
Das war fast ein Schock für mich. Wenn dieser Historiker recht hätte, dann würde die weitere Technisierung und die Produktionsausweitung meinen geliebten Bauernhof, den ich ja unbedingt in die Zukunft bringen wollte, zerstören. Jetzt auf einmal verstand ich auch die Thesen von Millendorfer. Dass nämlich die typische Bäuerlichkeit durch die Industrialisierung der Landwirtschaft verloren gehen würde. Wenn ich mich für diesen Weg entscheiden würde, dann müsste ich immer mehr produzieren und in teure Technik investieren, welche neue Kredite erfordern würden. Am Ende wäre ich ein dann ein Handlanger der Agrarindustrie und abhängig von der Bank. Nein, das wollte ich nun auf gar keinen Fall.
Doch nun stand ich vor dem nächsten Problem. Ich wusste jetzt zwar, was ich auf keinen Fall wollte. Doch ich wusste immer noch nicht, was ich denn statt dessen tun müsste? Zum Arbeiten gehen war für mich auch keine Alternative, denn dann würdeich den Hof mitsamt meiner Familie und der ganzen Arbeit zurück lassen. Also war ich wieder auf der Suche.
Telematik für den ländlichen Raum
Wiederum gaben mit die Thesen aus dem Buch von Alois Glück die entscheidenden Impulse. Wenn die Digitalisierung, oder wie man damals sagte, die Telematik, wirklich die nächste Großrevolution unserer Gesellschaft bringen würde, dann wollte ich dabei sein. Ich las auch von dem amerikanischen Zukunftsforscher John Naisbitt , der die Globalisierung in Verbindung mit der Digitalisierung voraussagte. Zeitgleich prophezeite er, dass das „Leben und Arbeiten auf dem Land“ die Lebensform schlechthin werden würde. Weil die Telearbeiter der Zukunft sich die Arbeit auf das Land holten und nicht umgekehrt. Und weil man mit dem Internet weit entfernte Märkte erreichen könne.
In mir reifte die Vision einen Bauernhof mit schnellem Internet und Telearbeitsplätzen zu entwickeln. Und es gelang mir tatsächlich. Im Zuge der Initiative Bayern Online“ fand ich mutige Unterstützer in der Allgäuer Wirtschaft für die Entwicklung des Telezentrum Allgäu. Ein Hightech-Dienstleistungszentrum mit Glasfaseranschluss mitten auf dem abgelegenen Land. Als Landwirtschaftsmeister übernahm ich die Geschäftsführung des Telezentrum.
Mit meiner Landwirtschaft machte ich, entgegen dem Zeitgeist, ein Downgrade. Alle Zupachtungen meines Vater machte ich rückgängig. Ich trennte mich auch von den teuren Maschinen. Und letztlich folgte ich der These Millendorfers zur alternativen Sanftheit im Umgang mit der Natur und stellte auf biologische Bewirtschaftung um. Gab die Milchviehhaltung auf und schloss mich gleichzeitig dem Regionalmarkenprogramm „VonHier“ von Feneberg Lebensmittel an. Ich war ein VonHier-Bauer der ersten Stunde und lernte dabei sehr viel über Markenbildung und Marktmechanismen. Von Handelsstrategien zur Vermarktung bäuerlicher Produkte an den Verbraucher.
Es gibt keinen gerechten Preis, sondern nur den Preis der im Markt durchsetzbar ist
Meine Markterfahrung bewog mich zur Gründung einer Einkaufsgemeinschaft mit anderen Landwirten ein. Ich nützte dabei auch technische Infrastruktur meines Telezentrums zum Aufbau. Und zwar mit den neuen, digitalen Landmaschinen: mit Fax, Mailboxen und schließlich mit einem selbstprogrammierten Internet-Portal gelang es mir am Markt für die Bauern bessere Preise zu verhandeln. Als die Umsätze in die Millionen gingen wandelte ich die Einkaufsgemeinschaft in eine Handels-GmbH um und ich beschäftigte engagierte Bauern als selbständige Telearbeiter, welche die Handelsgeschäfte über das Internet-Portal von ihren Höfen aus abwickelten. Sie verdienten dabei auch Geld für ihre Höfe und Familien, und zwar mit marktwirtschaftlichen Mitteln. Ich bin davon überzeugt, dass wir Bauern nicht immer den Staat brauchen um uns zu helfen. Anbei eine Reportage des Bayrischen Fernsehens aus dem Jahr 2009.
Nun, meine Visionen von damals ist größtenteils aufgegangen. Wenn auch Manches nicht, oder auf längere Sicht nicht so funktionierte, wie beabsichtigt. Nach Millendorfers Thesen ist der jeder Bauer ein praktischer Problemlöser. Also gehört ein Stück weit Lernen durch Scheitern auch dazu. So setzte sich die Telearbeit letztlich doch nicht durch, sodass ich für mein Telezentrum einen neuen Zweck suchen musste. Doch die Strategie meines bäuerlichen Bauernhofes mit gewerblich umgenützten Räumen ging trotzdem auf. Es kam das Interesse des Sozialdienstleister Arbeiter-Samariterbund Allgäu, der Räumlichkeiten für eine Tagespflege suchte. Gemeinsam entwickelten wir im Jahr 2015 das Konzept der Tagespflege auf dem Bauernhof, mit dem alle Beteiligten nun sehr zufrieden sind.
Ich schildere hier meinen Weg der Bäuerlichkeit gewiss nicht als pauschale Vorlage für andere Bauern. Es gibt sowieso keinen generell richtigen Weg für jeden Bauer. Denn jeder Bauer und auch jeder Bauernhof ist anders und ist eingebettet in eine eigene Umgebung mit individuellen Parametern. Eine pauschale Zukunftsstrategie Strategie, wie das über jahrzehnte empfohlene „Wachsen oder Weichen“, kann deshalb langfristig nicht gelingen. Auch in Industrie und Wirtschaft führt das planlose Wachstum um des Wachstums Willen langristig in den Untergang.
Deshalb ist der sogenannte Mittelstand nach wie vor der Motor unserer Wirtschaft. Prof. Millendorfer bezeichnete den Landwirt auch als „Ur-Kapitalist“, die geistige Grundhaltung zu Selbständigkeit, streben nach Ertrag um davon zu leben und das erworbene Eigentum intakt an die nachfolgende Generation zu übergeben, damit diese weiterhin die Existenz hat.
Nichts anderes habe ich als Bauer hier gemacht. Mein Ziel war und ist es, den Hof, den ich von meinen Eltern bekommen habe so zu entwickeln, dass meine Familie und ich selbst davon leben können. Und dass der Hof mit einer intakten wirtschaftlichen Basis an meine Kinder übergehen kann. Ich bin mir sicher, dass mein Bauernhof keine eigenständige wirtschaftliche Basis mehr hätte, wenn ich den pauschalen Weg des Wachsen oder Weichen gegangen wäre. Und ob meine Kinder noch Freude an der Landwirtschaft hätten, wäre noch eine ganz andere Frage.
So aber hat mein kleinbäuerlicher Hof auch heute eine zukunftsorientierte wirtschaftliche Basis. Ich bekomme als Bauer sehr viel Lob und Anerkennung von den Gästen, deren Angehörige und auch von der Öffentlichkeit und sogar von der Politik für diese Art der „Sozialen Landwirtschaft“. Dass jedes meiner Kinder den Hof übernehmen würde, macht mich besonders glücklich.
Die Hofübergabe an meinen Sohn Stephan ist bereits im Gange. Und er hat wiederum eigene, unternehmerisch bäuerliche Pläne wie er seine Zukunft gestalten möchte.
Nichts ist beständiger als der Wandel
Ich möchte meine Thesen und Erfahrungen an interessierte Menschen weitergeben. Ich bin von meinem Persönlichkeitstyp her ein „Überzeuger und Förderer“. Mich macht es glücklich, wenn ich Menschen dabei helfen kann persönlich zu wachsen.
Weil ich selbst überzeugt bin, das wir als traditionsbewusste Bauern, der Welt der Händler und Manager eben doch nicht hilflos gegenüber stehen. Dass der bäuerlich Mensch sehr wohl intelligent und lernwillig seine Geschicke selbst in die Hand nehmen kann.
Nichts ist verloren
Die Kraft der Bauernkultur steckt immer noch in jedem bäuerlichen Menschen. Der erste Schritt dazu ist es, sich seiner Stärken selbst bewusst zu werden und daraus eigene Wertvorstellungen und Ziele zu entwickeln.
Der Strukturwandel der Landwirtschaft geht brutal seinen Weg. Sehr viele Landwirte sind derzeit verzweifelt. Sie sind gefangen in einem für die Bauernkultur zerstörerischen System. Darum ist es Zeit endlich umzusteuern. Denn es gibt für die Bauern nicht nur Wachsen oder Weichen, sondern es gibt sehr, sehr viel Raum dazwischen. Meine langjährige Erfahrung ist: Bäuerliche Menschen sind sehr lern- und anpassungsfähig.
Und noch eine gute Nachricht ist: Bäuerlichkeit als „unternehmerische Geisteshaltung“ ist nach wie vor in den Menschen auf dem Land vorhanden. Man muss sie nur „erwecken“, indem man Impulse jenseits der agrarischen Glaubenssätze zulässt. Dann entfaltet sich die Bauernkultur, bildet Allianzen mit unseren Mitbürgern und mobilisiert enorme Kräfte. Es ist schön, wenn immer mehr Bauern sich wieder an Ihre Bäuerlichkeit erinnern.