Das deutsche Wort „notwendig“ ist ein tiefsinniger Ausdruck. Vielleicht nicht besonders beliebt, weil niemand eine Not mag. Ich finde es aber gut, wenn eine Not zum Besseren gewendet wird. Solch eine „Not-Geschichte“ mit Happy End kann uns der Allgäuer Käse erzählen.
Heute unvorstellbar, wie groß die Not am Anfang des 19. Jahrhunderts im Allgäu gewesen sein muss. Die verheerenden napoleonischen Kriege waren endlich vorbei, da kam 1816 das Jahr ohne Sommer. Da mögen sicher viele gedacht haben, „der Herrgott zürne und verdunkele den Himmel.“ Nein, der Herrgott war’s nicht, es war ein Vulkan in Indonesien. Und kaum war die Sonne wieder da, (eisen)-bahnte sich die Industrialisierung ihren Weg ins Allgäu. Eigentlich ein Silberstreifen und Hoffnungsträger, Gewiss. Doch für die Allgäuer, die sich oft mehr als nur ein Zubrot mit Flachs, Weberei oder Bergbau verdienten, brachen durch diese erste Globalisierung weitere Erwerbsquellen weg. Überdies wurde das Klima kälter. Die notigen Zeiten wollten einfach nicht enden.
Jede Krise spaltet. Damals auch! Viele sahen „schwarz“ und wollten nur noch weg. Die ersten großen Auswanderungswellen setzten ein. Doch für Andere lag das Gute viel näher als Amerika. Der heute wenig bekannte „Ross- und Käsehändler“ Josef Aurel Stadler aus Oberstaufen holte Schweizer Sennen ins Allgäu, die erstmals den „Käse nach Emmentaler Art“ im Allgäu herstellten. Zuerst 1821 in Weiler. Ab 1827 käste der heute noch bekannte Schweizer Senn Johann Althaus in Blaichach und Gunzesried. Das Revolutionäre am „Emmentaler Käse“ war die Haltbarkeit. Frischkäse stellten die Bauern zur Selbstversorgung immer schon her. Aber diese Weichkäse waren nicht so haltbar und lagerfähig wie der neue Hartkäse. Und genau diese verbesserte Haltbarkeit brachte den Käsehandel über weite Strecken so richtig in Schwung.
Der Erfolg sprach sich schnell rum. Und dann kam der heute oft als „Notwender“ oder „Alpkönig“ betitelte Carl Hirnbein ins Spiel. Er erkannte als Geschäftsmann das Potential und unterstützte die Bauern dabei auf Grünland- und Milchvieh zu setzen, anstatt dem bisherigen Flachs- und Getreideanbau. Er muss ein wahrhafter „Leader Manager“ gewesen sein, mit einem Gespür das „richtige Wirtschaften“ und für die Leute. Er organisierte dörfliche „Käsküchen“, garantierte die Abnahme überschüssiger Käslaibe, also quasi den Export, bei dem dann auch gleich die neumodische Eisenbahn eingespannt wurde. Und weil die neue Alp- und Milchwirtschaft so schön war, setzte Hirnbein noch einen drauf: 1853 erbaute er das erste „Allgäuer Berghotel“, das Grüntenhaus. Für die „Sommerfrischler“, welche nun immer zahlreicher mit der Eisenbahn ins Allgäu kamen – quasi als „Gegenfuhre“ für den Käse.
Natürlich gab es auch Skeptiker, wie den Kemptener Stadtrat, der 1836 noch davor warnte, dass der „Käse die Luft verpeste und die Mitmenschen belästigen“ würde. Doch der Käse siegte auf der ganzen Linie. Das Kornhaus und der Kemptener Getreidehandel versank in der Bedeutungslosigkeit. Kempten wurde stattdessen zum Zentrum der schwäbischen und bayrischen Milchwirtschaft.
Die NOT wendete sich also zur Allgäuer Erfolgsgeschichte. Der Käse brachte Wohlstand für die ganze Region. Also kann man sagen, der „Käs war und ist NOTWENDIG“ für unser Allgäu – bis heute.
Ich wünsche Ihnen „an Guate“ beim Käsegenuss. Am besten natürlich VON-HIER 😊
Ihr Altbauer Alois Wohlfahrt
Erschienen im Von-Hier-Magazin 46