Bäuerlichkeit – Was ist das?


Beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ erhoffen sich die Befürworter von einer bäuerlichen Landwirtschaft den Erhalt der natürlichen Ressourcen. Während die Gegner, allen voran die Bauernverbände, argumentieren, das Volksbegehren werde noch die letzten bäuerlichen Betriebe kaputt machen.

Wer hat denn nun recht?

Bäuerlichkeit ist ein sehr komplexes Thema. Ein Blick in die Geschichte ist ein guter Einstieg.

Die Bauernkulturen bildeten jahrhundertelang der Grundstock der Gesellschaften und Staaten. Bauern machten das Land urbar, schufen aus der Natur heraus Ressourcen für die Ernährung. Diese Kultivierung brachte gleichzeitig krisenfeste Gemeinschaftsstrukturen hervor. Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Besitz sind markante Eckpfeiler der Bäuerlichkeit. Genauso wie Langfristigkeit und Nachhaltigkeit. Denn als Bauer denke und handele immer im Generationen-Kontext. Das was ich als Bauer mir schaffe: die Felder, den Hof und Besitz, will ich intakt an die nächste Generation weitergeben.

Diese praktisch erfolgreiche Modell der Bäuerlichkeit änderte sich mit der zunehmenden Mechanisierung. Denn nun bekamen die Bauern Hilfsmittel an die Hand, welche zwar den Ertrag der Landbewirtschaftung steigerten, doch gleichzeitig veränderten die „Eingriffe“ immer spürbarer die natürlichen Ressourcen. Letzlich brachte die massenhafte Mehrproduktion einen nie gekannten Überfluss, aber für die Bauern auch einen nie gekannten Preisverfall mit sich. Heute bestimmen die Abnehmer der Lebensmittel den Preis, sie können immer das günstigste Angebot wählen.

Der gnadenlose Preiskampf fordert vom Bauer immer noch mehr Spezialisierung und neue Techniken, z.B. Pflanzenschutzmittel, welche eben sehr viel Arbeit und Kosten ersparen, aber auch ganze Landstriche von Biodiversität „reinigen“. Sozusagen als Nebenwirkung.

Nun haben wir ein unübersehbares fortschreitendes Artensterben in der ehemals blühenden bäuerlichen Kulturlandschaft. Die ungezügelte Technisierung zerstört also die Kulturleistungen der Bäuerlichkeit. Das erkannte schon der Historiker Dr. Karl Bosl als er 1986 über den „Landmann des ausgehenden 20. Jahrhunderts“ sinnierte:

Technik und Organisation sind an sich seine Helfer, aber die fortschreitende Technisierung zerstört auch seine Lebenswelt.“

Dr. Karl Bosl. Festrede zum 40-jährigen bestehen des bayerischen Bauernverbandes 1986

Wie Bosl richtig sagte, ist die Technik für mich als Bauer ein Hilfsmittel. Ich entscheide also, was für eine Technologie und in welchem Umfang ich sie einsetze. An der Stelle ist der Landwirt leider heutzutage nicht mehr richtig frei, sondern zu einem Abhängigen geworden. Einerseits durch Zwänge, wie den ungeschützen globalen Preiskampf. Und andererseits durch Verlockungen, wie die Subventionen und die staatliche Beratung. Der Beginn dieser massiven staatlichen Einflussnahme war der berühmte „Mansholt-Plan“ in den 60er Jahren. Das bis heute geltende Credo: Die bäuerlichen Betriebe müssen wachsen, damit sie sich die Mechanisierung leisten können!

Das Ergebnis ist das berühmte „Wachsen oder Weichen“, was den sogenannten Strukturwandel hervorgerufen hat. Wo die bodenständigen und nicht so modernen Bauern entweder aufgeben, oder in den Nebenerwerb gezwungen werden.

Das Wachstum ist schon deshalb notwendig, weil die „moderne Landwirtschaft“ ein enorm kapitalintensiver Selbstläufer geworden ist. Nicht von ungefähr ist der landwirtschaftliche Arbeitsplatz mittlerweile der teuerste Arbeitsplatz der Wirtschaft geworden. Doch rentieren tut es sich für die allermeisten Bauern nicht wirklich. Oft verdient man als Vollerwerbsbauer auch nicht mehr, als wie vor der technischen Investition. Dafür sind die Schulden und der Kapitaldruck jedoch deutlich höher. Ab da sind die ehemals selbstständigen Bauern jetzt auch noch abhängig von den Banken.

Zu den Verlierern gehört ganz klar auch die Natur. Die Produktivitätssteigerungen verlangen nach immer mehr Betriebsmitteln, (Düngern und Pflanzenschutzmittel, etc), welche zu „Rückständen“ in Boden, Wasser, Meeren und Lebensmitteln führen.

Die Profiteure dieser „Modernisierung“, sind ganz klar der Lebensmittelhandel und die Verbraucher. Auch die Gesamtwirtschaft profitiert durch billige Lebensmittel, denn es bleibt beim Verbraucher mehr Geld für den Konsum übrig. Diese Entwicklung ist quer durch alle politischen Kräfte so gewollt. Auch bei denjenigen, die mit dem neuen Schlagwort der Agrarwende auf den Plan treten. Die Absicht dahinter mag gut sein. Doch die angestrebten Maßnahmen mit Verboten und neuen Subventionen treffen die Bäuerlichkeit in ihrer Substanz.

Der Österreichische Systemforscher Johann Millendorfer erkannte bereits 1991, was bei der gut gemeinte Art der „Förderung bäuerlicher Landwirtschaft“ durch den Staat schief gehen würde:

Der bäuerliche Mensch ist der selbständig und verantwortungsbewußt handelnde gestalterische Mensch. Dies kann sicherlich nicht der Mensch sein, der in hohem Maße vom Staat subventioniert wird, damit von diesem abhängig ist und durch eine Vielzahl unterschiedlichster Programme in seinem Gestaltungsspielraum erheblich eingeengt wird.

Johann Millendorfer: Studie „Quantifizierung der Umweltleistungen der bäuerlichen Landwirtschaft in Bayern ohne Sonderleistungen für Arten—, Natur— und Wasserschutz“ Seite 337

Millendorfer war der einzige Wissenschaftler, der jemals die Bäuerlichkeit erforscht hat. Für das bayrische Landwirtschaftsministerium erstelle er 1991 sogar eine Studie zur Quantifizierung der Nebenwirkung bäuerlicher Landwirtschaft in Bayern. Er definierte Bäuerlichkeit als eine „Geisteshaltung“, welche „überlebenswichtige Werte“ für die Gesellschaft schaffen würde. Diese Prinzipien nannte er die LILA-Prinzipien:

  • Lebensbereich vor Produktionsbereich in der Gesellschaft
  • Immaterielle Faktoren vor materiellen Faktoren in der Wirtschaft
  • Langfristigkeit und Ganzheitlichkeit in den Werten und Zielen
  • Alternative Sanftheit im Umgang mit der Welt

Diese Prinzipien finden sich tatsächlich im Erstarken des Umweltbewusstseins unserer Gesellschaft wieder. Oder in der steigenden Nachfrage nach Bio-Produkten. Bäuerlichkeit und die damit verbundenen Werte sind also bei der Bevölkerung hoch im Kurs, denn hinter der Bäuerlichkeit spüren die Menschen eine Handlungsethik. Bio-Landwirtchaft ist sicher nicht einfach gleichzusetzen mit der Bäuerlichkeit an sich, weil auch der konventionelle Landwirt ebenso bäuerliche Werte hat. Doch das große Lager der „modernen Landwirtschaft“ tut sich mit diesen Werten immer schwerer. Modernität wird per se zur Handlungsethik erklärt. Die mittlerweile unübersehbaren Umwelt- und Akzeptanzprobleme werden negiert. Politik, Lebensmittelhandel und vor allem die Verbraucher werden als Schuldige ausgemacht.

Diese Verhaltensweise passt in der Tat überhaupt nicht mehr zur Definition Millendorfers über die Bäuerlichkeit, dass der Bauer der selbstständig und verantwortungsbewußt handelnde, gestalterischer Mensch sei. Ein solcher Mensch müsste die Probleme versuchen zu erkennen und er würde auch sich selbst auf den Weg machen um Lösungen zu finden.

Und damit offenbart sich das Dilemma in seiner ganzen Dimension. Die Bauernschaft selbst scheint sich der Prizipien der Bäuerlichkeit nicht mehr bewusst zu sein. Und leider sind die gut gemeinten Maßnahmen von Bienenrettern und Staat mit Verordnungen und Subventionen genausowenig hilfreich den selbstständig und verantwortungsbewußt handelnden, gestalterischen Menschen zu fördern.

Biodiversität bedeutet sinngemäß Vielfalt des Lebens. Eine gelebte Bäuerlichkeit erzeugt genau eine solch vielfältige Kultur. Bäuerlichkeit ist noch nicht gänzlich tot. Alle Anlagen dazu sind immer noch in unseren Regionen da. Da schlummert auch eine große gemeinsame Schnittmenge mit der gesamten Bevölkerung. Die aktuelle Entwicklung beim Volksbegehren „Rettet die Bienen“ zeigt, dass diese Schnittmenge für dringend notwendige Veränderungen genutzt werden kann. Dies stimmt mich hoffnungvoll.

Alois Wohlfahrt

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