In einem Ort wurde Kirchweih gefeiert. Zur Freude der Menschen gab es einen kleinen Rummelplatz mitsamt einem Karussell. Am Abend saß die Runde der wichtigsten Leute des Dorfes fröhlich zusammen. In ihrem Übermut beschlossen sie zur nächtlichen Stunde eine Runde mit dem Karussell zu fahren. Sie bestiegen die Sitze des Karussells und der Bürgermeister schaltete den Motor ein. Wie sich das Karussell langsam zu drehen begann, forderten die Männer den Bürgermeister auf, doch mitzufahren. Er sprang noch schnell auf einen Sessel und fuhr mit. Zuerst war es sehr lustig. Doch dann stellten sie fest, niemand konnte mehr das Karussell abschalten. Von dem ständigen Drehen wurde ihnen schließlich schlecht, sie schrien und jammerten, aber das half nichts, bis schließlich in der Früh der Milchwagenfahrer kam. Er sah ihre Not und stellte das Karussell ab.
Das ist ein Bild unserer Gesellschaft. Das Karussell wird durch „alternativlose Sachzwänge“ angetrieben und beschleunigt. Wir bewegen uns auf eine Weise im Kreis, dass uns immer übler wird, aber diejenigen, welche die Sache abstellen sollen, sitzen auf dem gleichen Karussell. Nun ist die Frage naheliegend, wer ist der Milchmann? Wer steht früh genug auf und hat die Kraft den Wahnsinn zu beenden?
Text ist 30 Jahre alt
Die vorstehende Geschichte stammt aus dem Vorwort zur berühmten Millendorfer Studie aus dem Jahr 1991.
Doch in Corona Zeiten aktueller denn je!
Wie kann das sein? War Millendorfer ein Hellseher?
In gewisser Weise ja. Sein Credo als Wissenschaftler war, dass die moderne Industriegesellschaft die bäuerlichen Werte zum Überleben brauche! Weil der moderne, technisierte Mensch sonst den Bezug zum Leben, zur lebensnotwendigen Realität verliere.
Er prophezeite einen institutionellen Krebs, den die Gesellschaft in die Knie zwingen werde. Man würde ihn daran erkennen, wenn die staatlichen Institutionen sich gegenseitig mit Bürokratie bekämpfen werden. Es gäbe ein zunehmende Ungleichgewicht zwischen totem, technisch-organisatorischen Dingen und den realen lebendigen Organismen.
Wir versuchen mittlerweile alle Probleme mit Geld und Technik zu lösen
Das ist der Kampf zwischen Totem und Lebendigem pur. Nicht nur bei Corona, auch beim Klimawandel und bei fast allen gesellschaftlichen Problemen.
Das Natürliche hat jedoch keine Geldbörse und reagiert nicht auf Bürokratie
Millendorfer forderte schon vor 30 Jahren eine Umkehr zum Leben mit seinen 4 LILA Prinzipien:
- Lebensbereich vor Produktionsbereich
- Immaterielles hat Vorrang vor Materiellem
- Langfristigkeit und Ganzheitlichkeit
- Alternative Sanftheit und Feingliedrigkeit
Bäuerliche Räume als Reserve des Lebens
Die bäuerliche Lebensweise mit ihren, über jahrhunderte bewährten Kulturwerten, sah Millendorfer als eine menschliche Reserve, auf die irgendwann der moderne, hochtechnisierte Mensch zurück greifen müsse!
Dazu bot Millendorfer ein weiteres, literarisches Beispiel auf. Den Roman „Der Stern der Ungeborenen“ von Franz Werfel.
Er handelt im Jahr 101.945, also 100.000 Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Eine hochtechnisierte, hochzivilisierte – wir würden sagen vollautomatisierte, postindustrielle – Gesellschaft lebt in unterirdischen klimatisierten Räumen, ernährt sich von künstlicher Nahrung, liebt abstrakte Kunst und einen Umgang in gedämpften glatten Formen. Auf der Erdoberfläche gibt es nur noch graues Gras, aber keine Blumen) und keine Vögel mehr. Da bricht an bestimmten Stellen der Erdoberfläche etwas auf, das die Menschen der unterirdischen Gesellschaft mit Grauen erfüllt, und das sie den Dschungel nennen: da wachsen Blumen, da gibt es Menschen, die Bier trinken und laute, fröhliche Feste feiern und singen, da gibt es gegenständliche Kunst in bunten Farben. Es kommt dann dazu, dass die Katzen – die ja sensible Tiere sind und ein Gespür dafür haben, wo Leben ist – in den Dschungel überlaufen. Dieser „Exodus der Katzen“ ist der Auftakt zu dem, was Franz Werfel den Krieg der Faschisten gegen den Dschungel nennt.
Die Faschisten verlieren den von ihnen begonnenen Krieg und das Buch endet damit, dass die Dschungel-Leute den Besiegten wieder das Singen lehren. Wir müssen nicht 100.000 Jahre warten, bis dieses Bild aktuell wird. Zwar leben wir noch nichtunterirdisch (dazu bräuchte es noch viele Tschernobyl oder einen Atomkrieg) und das „graue Gras“ wächst noch nicht auf der Erdoberfläche. Auch gibt es noch Wilder (wie lange noch?), wir können uns noch an Wiesen mit Blumen erfreuen (wann werden wir dieses Unkraut niedergespritzt haben?) und haben all dem noch nicht offen den Krieg erklärt (es ist eher ein versteckter Krieg), aber das Singen haben wir schon verlernt..
Wir alle sind Milchmänner und -frauen
Ich glaube ein Milchmann oder eine Milchfrau wird nicht reichen um die Wende herbeizuführen. Doch wir sehen sehr deutlich, wie diese Krisenzeit viele Menschen bewegt und auch wachrütteln wird. Bäuerliche Werte stehen vor einer Renaissance.
Da bin ich mir sicher!
Euer Alois